SCENERIES  

Miwa Ogasawara I  Albrecht Schäfer

Doppelausstellung  im Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin 

 

Einführung von Dorothea Zwirner

 

Der interkulturelle Dialog, zu dem das Japanisch-Deutsche Zentrum Berlin in dieser Doppelausstellung eingeladen hat, findet nicht nur zwischen der japanischen Künstlerin Miwa Ogasawara und dem deutschen Künstler Albrecht Schäfer statt, sondern vollzieht sich auch im Innern ihrer Werke selbst. Dieser innere Dialog zwischen östlichen und westlichen Einflüssen verbindet die beiden Künstler*Innen seit Jahren auch freundschaftlich und überlagert sich mit weiteren werkimmanenten Dialogen: zwischen Innen und Außen, Raum und Fläche, Licht und Schatten. Wo ließen sich diese Dialoge besser führen als einem Ort, der um ein kleines Atrium mit japanischem Garten angelegt ist und eben diese Fragen nach der Verbindung von Innen und Außen architektonisch aufwirft: schauen wir nach Innen oder Außen? Sehen wir ein Stück Natur oder ein vom Fenster gerahmtes Landschaftsbild?

 

Die Ambivalenz dieser architektonischen Situation kommt in dem mehrdeutigen Titel der Ausstellung wunderbar zum Ausdruck. Denn mit „Szenerien“ kann sowohl ein umgrenztes Bühnenbild, als auch ein weit gespanntes Panorama gemeint sein. Während die kleinformatigen bühnenbildartigen Interieurs und Stillleben von Albrecht Schäfer einen konzentrierten Blick erfordern, umfassen die Großformate von Miwa Ogasawara die Gesamtheit dessen, was sich den Betrachter*Innen von einem bestimmten Standpunkt darbietet.  Hier Einblick – dort Überblick. Während seine Bildräume perspektivisch wie Guckkästen oder Bühnenräume konstruiert sind, verschleiert Miwa Ogasawara die räumliche Illusion ihrer Bilder oder erzeugt sie allein durch den lasierenden Farbauftrag. Während ihr Farbauftrag also eher dünnflüssig, lasierend und glatt ist, wirkt sein Duktus eher deckend bis pastos und uneben. Während ihre Palette eher kühl und luftig gehalten ist, bevorzugt Schäfer wärmere und erdigere Farbtöne. 

 

Was also rein äußerlich vom Format und der Perspektive her kaum gegensätzlicher sein könnte und im Kolorit und Farbauftrag subtile Gegensätze aufweist, hat in der Wirkung viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Die beide Werke verbindende Ausstrahlung ist ihre Stille in allen Bedeutungsdimensionen von meditativer Ruhe, zeitlichem Stillstand, räumlicher Abgeschiedenheit und im übertragenen Sinne von menschlicher Einsamkeit. Wenn Noemi Smolik ihren Katalogbeitrag mit der schönen Formulierung abschließt: „In Gegenwart der Bilder von Miwa Ogasawara flüstert man“, so trifft dies ebenso auf Albrecht Schäfer zu.

 

Miwa Ogasawara wurde 1973 in Kyoto geboren als Tochter eines Freiheitskämpfers und einer für die Emanzipation engagierten Frau, die gemeinsam ein pädagogisches Institut gründeten. Nach ihrem Pädagogikdiplom verließ sie ihre japanische Heimat, um nach Deutschland zu gehen, und zwar nach Hamburg, wo sie zunächst Design und Illustration an der Hochschule für angewandte Künste studierte und anschließend Freie Kunst an der Hochschule für Freie Künste bei Norbert Schwontkowski, Werner Büttner und Michael Diers. 

 

Von Miwa Ogasawara sehen wir aktuelle Bilder von 2023, die sich motivisch in zwei für ihr Werk typische Gruppen teilen lassen, Landschaften und Räume, wobei die in den vier Jahreszeiten dargestellten Bäume im Gegenlicht zur abstrahierten Darstellung der eingangs gehängten Bilder „Wolken“ und „Reflexion“ tendieren und die drei Raumausschnitte mit Fenster und Vorhang eine vage Verbindung von Innen und Außen herstellen. Ob Räume oder Landschaften, Kinder oder Frauen, Gefäße oder Glaskugeln, Wolken, Wellen oder Weltbilder, alle Bilder von Miwa Ogasawara zeichnet das Diffuse, Ambivalente, Vage und Ungefähre aus, das sich in allen Nuancen und Schattierungen der Farbe Grau wie ein Nebel zwischen Wirklichkeit und Wahrheit ausbreitet. 

 

In der FAZ von gestern (6.9.2023) las ich einen wunderbaren Artikel über die Nicht-Farbe Grau, geschrieben von Niklas Maak, aus dem ich folgenden Absatz zitieren möchte, weil er so gut zu Miwa Ogasawara passt: „Erst im vergangenen Jahr hat Peter Sloterdijk in seinem Buch „Wer noch kein Grau gedacht hat“ die Nicht-Farbe zu rehabilitieren versucht. In Anlehnung an Paul Cézannes Bonmot „Solange man nicht ein Grau gemalt hat, ist man kein Maler“, schreibt Sloterdijk: „Solange man das Grau nicht gedacht hat, ist man kein Philosoph.“ Grau ist bei ihm das, was jenseits des sprichwörtlichen Schwarz-Weiß-Denkens liegt, eine „Grauzone“ voller feiner Nuancen, in der das Nichtreine, Vermischte, Abgetönte, Gedämpfte, leicht Verschleierte, Zurückgenommene und Entkonturierte zur Denkkoloratur für eine andere Form der Welt- und Selbsterkenntnis wird.“

 

Es ist jenes Zwischenreich des Schattens, das Tanizakis Jun’ichiro in seinem berühmten Essay „Lob des Schattens“ als Quintessenz der japanischen Ästhetik beschreibt. In seinem Entwurf einer japanischen Ästhetik finden sich zahlreiche Formulierungen, die hervorragend auf Miwa Ogasawaras Malerei zutreffen: die wolkige Oberfläche, das tief umwölkte Schimmern, der von Trübungen gedämpfte Glanz, das unbestimmte Dämmerlicht, die geringen Hell-Dunkel-Nuancen. Mit diesen poetischen Beschreibungen nähert sich Tanizakis dem Mysterium des Ostens an, das er in der unheimlichen Stille des Dunklen und der Magie der Schatten ausmacht. 

 

In ihrem Jahreszeitenzyklus zeigt sich der ganze Reichtum ihrer vielfarbigen Grau-Palette, die zu funkeln beginnt, wenn das Gegenlicht durch die Baumschattenwand bricht: im lichten Gelbgrüngrau des Frühlings, im satten Blaugrüngrau des Sommers, im zarten Rosarotgrau des Herbstnachmittags und im blassen Lilablaugrau des fahlen Winterlichts. Hinzu kommt ein rosafarbener Querstreifen, der sich vereinzelt, verdoppelt oder vervielfacht waagerecht über die Bilder zieht, ohne erkennbaren Grund, rätselhaft, Räumlichkeit verunklärend und Bewegung andeutend, als schauten wir aus einem fahrenden Zug. Genauso wenig durchschaubar ist der vertikale Querstreifen, der sich im Bild „Reflexion“ semitransparent wie eine Milchglasscheibe durch die verschwommene horizontal gestaffelte Landschaft zieht.

 

Semitransparent ist auch der Vorhang, der auf monumentale Weise Zweidrittel der Bildfläche füllt, vor dem Fenster des abgedunkelten Raums oder des Hotelzimmers hängt.

Er zieht keine harte Grenze zwischen Innen und Außen, verlangt kein dialektisches Denken in Gegensätzen, sondern erzeugt ein weiches Dazwischen, einen sanften Übergang, ein gedämpftes Zwielicht, das wie bei Japanischen Shoijs in die Dunkelheit unserer inneren Kammer fällt und den Blick in die Welt da draußen verschleiert. 

 

Gedämpftes Licht hatte auch Albrecht Schäfer in seiner Ausstellung 2008 im KW Institute for Contemporary Art bewusst eingesetzt, als er die gesamte Fläche der 20 Meter langen Rückwand über die vier Fensteröffnungen hinweg mit durchscheinendem Zeichenpapier tapezierte, wodurch eine fernöstliche Ästhetik wie bei japanischen Shoijs entstand. Eine weitgehende Abdunkelung des Raums war nötig, um die reizvollen Licht- und Schattenspiele seiner aus Aluminumjalousien gedrehten Werkgruppe „Spiral Blinds“ und der aus aufgeschnittenen Papierlampenschirmen hergestellten Werkserie „Noguchi-Split“ effektvoll in Szene setzen zu können. Dass es sich dabei nicht nur um eine geschickte Raumnutzung und Lichtinszenierung, sondern ein kaum wahrnehmbares eigenständiges Werk handelte, zeigte sich schon in einer frühen Rauminszenierung in der Müllerstrasse 16, die Schäfer bereits 1994 auf dieselbe Weise mit den drei vorgegebenen Fenstern gestaltet hatte. Doch nicht nur in seiner Vorliebe für die Magie von Licht und Schatten, sondern auch in der kargen Schlichtheit und zarten Flüchtigkeit seiner Arbeiten zeigt sich Albrecht Schäfer seit jeher einer japanischen Ästhetik verbunden.

 

Albrecht Schäfer wurde 1967 in Stuttgart geboren, studierte in Braunschweig, London und München, bevor er sich in Berlin niederließ, wo er seit 2010 an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee lehrt. 

 

Von Albrecht Schäfer sehen wir Werke der letzten acht Jahre, seit er sich der Malerei zugewandt hat. Alle vier Werkzyklen, die seitdem entstanden sind - die Interieurs, die Steine, die Stillleben sowie die jüngste Gruppe der Faltungen, abstrakte Monotypien, die er gerade in Paris gedruckt hat, verbindet das kleine Format, die zurückgenommene Farbigkeit auf der Basis von Grau-, Braun- und Beigetönen sowie die sparsame Kompositionen.  

Obwohl diese Hinwendung zur Malerei, die 2014 mit einem zweijährigen Rückzug ins Atelier verbunden war, einen deutlichen Einschnitt gegenüber seinem konzeptuellen Frühwerk bedeutet, sind es dieselben Themen, die Albrecht Schäfer nunmehr mit malerischen Mitteln untersucht. Es sind die uralten bildnerischen Elemente von Raum und Zeit, Licht und Schatten, bildimmanente Dialoge, die immer schon eine übertragene und philosophische Dimension in sich bergen. 

 

So haben seine Interieurs, deren Ausgangspunkt ein architektonisches Modell seines Ateliers war, immer etwas mit Introspektion und Innerlichkeit zu tun, also den raumzeitlichen Bedingungen des eigenen Schaffens, so wie die Steine etwas mit der Morphologie der Monade zu tun haben, also der naturphilosophisch gedachten Einheit von physischer und psychischer Bedeutung. In ihrem sorgfältigen Arrangement können sie - besonders an diesem Ort - auch als Referenz an den Japanischer Stein- oder Zen Garten gelesen werden, der bekanntlich Inbegriff und Ausdruck japanischer Philosophie und Geschichte ist.

Als Teil der unbelebten Natur, der buchstäblichen Nature morte sind die Steine aber auch Bestandteil der Stillleben, die wiederum in Verbindung mit welken Blättern und Gräsern an das memento mori der Vergänglichkeit gemahnen. Wie ein Schatten haftet sich die Vergänglichkeit der Schönheit auf der einen Seite und der Ewigkeit auf der anderen Seite an, damit sie umso heller leuchten kann. 

 

Mit seiner zunehmend abstrakten Werkgruppe „Pliage“ nutzt Schäfer die technischen Bedingungen und Möglichkeiten der Monotypie, um einen neuen Dialog zwischen Plan und Spiel in Gang zu setzen, in dem sich vielschichtige Schattierungen entfalten können. Dafür werden zwei Folien mit einer sehr dünnen Ölfarbenschicht eingewalzt und mittels einer Druckerpresse auf das Papier gedruckt. Die Bildgestaltung entsteht durch ein geknicktes und gerissenes Zeitungspapierstück, das dazwischen gelegt entsprechende Druckspuren der Faltungen, Risse, Papierstrukturen und sogar Buchstaben hinterlässt. All das geschieht sehr schnell, denn der einmalige Abzug kann nur entstehen, solange die Farbe noch feucht ist. Das Unikat entsteht also im Abtragen oder Abdruck der zuvor aufgetragenen Farbe. Es kommt somit aus dem Dunklen ins Licht.

 

Bei aller Affinität zur fernöstlichen Ästhetik, lassen sich bei Schäfer wie bei Ogasawara jedoch auch Vorbilder aus der abendländischen Kunstgeschichte erkennen. Seine Interieurs wie ihre Räume sind zweifellos von den menschenleeren, in Grisaille Tönen gehaltenen Interieurs von Vilhem Hammershøi inspiriert. Die „wesentliche Schlichtheit“, die schon Rainer Maria Rilke an dem dänischen Künstler faszinierte, zeichnet auch Albrecht Schäfer und Miwa Ogasawara aus. Noch größer ist für Schäfer der Einfluss von Giorgio Morandis Ton in Ton gemalten Stillleben. Wie Morandi mit seinen Flaschen, Krügen und Gefäßen geht es Schäfer in der maximalen Reduktion und minimalen Variation des immer gleichen Motivs um die Essenz und den Reichtum unserer Wirklichkeit. In der Geschlossenheit und Innerlichkeit des kleinen Formats spürt man dieselbe Sehnsucht nach Überschaubarkeit in einer unüberschaubaren Welt. Es ist jedoch keine Kunst des Rückzugs, sondern eher der Hinwendung: Sie nimmt die Dinge, wie sie sind und strebt im vollen Traditionsbewusstsein nach einem eigenen Ausdruck. Schließlich kann man nicht umhin, bei Schäfers Faltungen an das großartige konstruktiv-abstrakte Tafelwerk von Herman Glöckner zu denken, das aus collagierten und gefalteten Papieren von unterschiedlich starker Transparenz entsteht, wie z.B. dem wolkigen, halbtransparenten Japanpapier.  

 

Im Bereich der Interkulturalität spricht man von Ambiguitätstoleranz: Das ist die Fähigkeit, widersprüchliche Auffassungen und Wirklichkeitsbilder zu akzeptieren und produktiv zu wenden. Ambiguitätstoleranz ist eine Komponente der interkulturellen Kompetenz, die besonders in Prozessen des Kulturwechselns erworben oder spürbar wird. Sie zeichnet das Werk von Miwa Ogasawara ebenso aus wie das von Albrecht Schäfer. Beide Künstler*Innen verbindet eine Ästhetik der Dezenz und Subtilität, eine Kunst der Andeutung, Schweigsamkeit und Zurückhaltung, die den bildimmanenten Dialog zwischen Innen und Außen, Raum und Fläche, Licht und Schatten, Japan und Deutschland fruchtbar werden lässt.

 

 

Dorothea Zwirner